Samstag, 20. August 2022

Journalist vs. katholische Kirche

Geprothmannt: Solidarität mit Aigner

Der Regensburger Dom – Sinnbild der Meinungsverachtung und des Schweigegelds. Quelle: Regensburg-digital.de

Rhein-Neckar/Regensburg, 24. September 2012. (red) Der Regensburger Journalist Stefan Aigner ist jemand, der genau hinschaut. Jemand, der sich um Opfer kümmert. Jemand, der die längst vergessene Kunst der Sozialreportage im Lokalen wieder aufleben lässt. Jemand, dem es nicht egal ist, ob man „Streumunition“ als „intelligente Wirksysteme“ bezeichnet. Und immer wieder wird der Journalist von Konzernen verklagt: Ob von Waffenfabrikanten wie „Diel“, ob von Glaubensfabrikanten wie der „Diözese Regensburg“ oder von einer XXL-Möbelfabrikantenkette. Die katholische Kirche will Stefan Aigner exkommunizieren und geht bis vors weltlich jüngste Gericht. Der Glaubenskonzern will dem Regensburger Journalisten verbieten lassen, im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch Geldzahlungen als „Schweigegeld“ zu bezeichnen.

Von Hardy Prothmann

Die Diözese Regensburg hat die Widerwärtigkeit als Glaubensprinzip entdeckt. Der juristische Glaubenskampf eines Bischofs Müller ist an Erbärmlichkeit nicht zu überbieten. Über Jahrzehnte  hat die katholische Kirche den Missbrauch von Schutzbefohlenen „gedeckt“.

Der Skandal des mannigfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern Jugendlichen durch katholische Priester oder sonstige Angestellte dieser Kirche hat nicht nur die Glaubensgemeinde, sondern das ganze Land erschüttert. Eine glaubhafte Aufklärung durch die Verantwortlichen hat nicht stattgefunden. Die Missbrauchsopfer wurden durch diese Kirche nochmals verhöhnt und öffentlich vergewaltigt.

„Beigeschmack“

Der Regensburger Journalist Stefan Aigner hat sich vor Ort „um das Thema gekümmert“. Und Zahlungen an ein vergewaltiges Opfer als „Beigeschmack von Schweigegeld“ bezeichnet. Wie auch der Spiegel. Das Magazin formulierte härter: Schweigen gegen Geld. Von „Beigeschmack“ ist da keine Rede.

Die Diözese Regensburg hat im Zuge des „fliegenden Gerichtsstands“ dann in Hamburg gegen Spiegel und Aigner geklagt. „Fliegender Gerichtsstand“ meint – da das Internet überall ist, sucht man sich das Gericht aus, bei dem man sich die besten „Chancen“ ausrechnet. Was das über eine Gerichtsbarkeit „im Namen des Volkes“ aussagt, soll hier nicht debattiert werden.

Das Landgericht Hamburg hat erwartungsgemäß sowohl den Spiegel als auch Aigner verurteilt, die Behauptung von „Schweigegeldzahlungen“ zu unterlassen. Doch das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts kassiert. Das passiert oft, aber nur, wenn man es sich leisten kann. Stefan Aigner konnte das, weil er rund 10.000 Euro Spendengelder einwerben konnte, um sich zu wehren. Sonst wäre er ruiniert gewesen. Im Sinne der Kirche. Denn Aigner hatte vorher versucht, eine Einigung zu erzielen. Sowas wollte das Bistum nicht. Bischof Müller steht für Inquisition.

Verfassungsbeschwerde gegen „Schweigegeld“

Gegen das Urteil des Oberlandesgericht hat die Diözese Regensburg nun laut einem Bericht von regensburg-digital.de „Verfassungsbeschwerde“ eingelegt. Bischof Müller als Verantwortlicher will also vom höchsten deutschen Gericht klären lassen, ob Zahlungen an die Familie eines von einem katholischen Priester zweifelsfrei missbrauchten Jungen als „Schweigegeld“ bezeichnet werden darf oder nicht.

Abseits jeder juristischen „Einordnung“ macht das fassungslos. Jede Scham fehlt. Jedes Schuldbewusstsein. Jede Verantwortlichkeit. Selbst wenn es kein Schweigegeld gewesen wäre, vermisst man bis heute Demut und Anstand bei der Diözese Regensburg. Vielleicht „stinkt der Kopf vom Fisch her“ hier besonders von der Person Müller, aber insgesamt ist das Verhalten der katholischen Kirche in Sachen Aufklärung in ganz Deutschland auf ungläubiges Entsetzen gestoßen.

Um auch das festzustellen: Die „ungeheuerliche“ Klage richtet sich allein gegen einen großen Verlag, den Spiegel und gegen einen freien Journalisten, Stefan Aigner. Auch das erstaunlich oder auch nicht. Die vor Ort „etablierte Presse“ hat entweder gar nicht oder im Sinne der Kirche berichtet. Eine kritische Berichterstattung hat es hier nicht gegeben. Vor Ort soll alles seinen Gang gehen wie immer, Kritik ist nur „in Maßen“ erwünscht, was sich häufig in Maßbierberichterstattung bestätigt, die Tageszeitungen bedienen teuer bezahlende Kunden gut und der Rest findet nicht statt.

Regensburg ist überall

Regensburg ist überall. Genau wie Heddesheim, Ilvesheim oder Weinheim. Was anders ist: Es gibt neue, freie und unabhängige journalistische Angebote. Die sich trauen, hintergründig zu berichten. Und immer öfter finden sie Themen, die deutschlandweit Interesse finden, während Lokalzeitungen in ihrer Instant-Bratwurst-Soße schwimmen. Im Gegensatz zu denen, die sich nichts in den Block diktieren lassen, sondern auf dem Blog anprangern, was schief läuft.

Teilen Sie diesen Artikel, informieren Sie Ihre Freunde und Bekannten über neue Möglichkeiten. Fragen Sie sich, was Ihrer Meinung nach „öffentlich“ sein muss. Informieren Sie wirklich kritische Journalisten. Helfen Sie mit Ihrem Interesse Stefan Aigner – denn der macht das nicht für sein Bankkonto, sondern aus Überzeugung. Ich halte ihn für einen ganz herausragenden Journalisten, der mit Herzblut und einer nach Artikel 5 Grundgesetz bestimmten Haltung eine Stütze unserer Demokratie ist. Einen Preis wird er für seine engagierte Arbeit vermutlich nie gewinnen. Denn er ist kein Teil des „Print-Preis-Systems“, das sich nur selbst huldigt.

 

 

 

Die Parteien sind gefordert - vor allem CDU und SPD

NPD-Verbot vs. Zivilcourage

Die Nazis sind unter uns: NPD-Funktionär Jan Jaeschke (Bildmitte) lebt in Weinheim.

 

Ladenburg/Rhein-Neckar, 11. Mai 2012. (red) Ein türkischstämmiger Schriesheimer brachte es in Ladenburg bei der Veranstaltung „NPD-Verbot jetzt – Ja oder nein?“ auf den Punkt: Er appellierte an die Parteien, aktiver für demokratische Strukturen zu werben und vor allem sich nicht selbst ausländerfeindlicher Sprüche zu bedienen, um (rechte) Wähler zu fangen. Verbote legen vielleicht zunächst Strukturen lahm, aber nicht rechtsextremes Gedankengut.

Kommentar: Hardy Prothmann

Am Dienstagabend sitzt der Landtagsabgeordnete Gerhard Kleinböck (SPD) auf dem Podium und ist auch ganz klar für ein Verbot der NPD, wenn das denn möglich sein sollte. Und er stellt fest:

Wir können das Problem nur kleinschrittig lösen. Hat jeder hier sein Möglichstes getan, um die Entwicklungen zu verhindern?

Das ist eine gute Frage und als erster sollte sich Herr Kleinböck diese stellen. Vor ziemlich genau einem Jahr war der Rechtspopulist Thilo Sarrazin mit SPD-Parteibuch in Mannheim, um der Mittelklasse, also den gut und sehr gut „Gebildeten“ sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ vorzustellen. (Siehe hier unsere Berichte.)

Parteiliche Probleme der Zivilcourage

Wir haben im Vorfeld Herrn Kleinböck, die SPD-Rhein-Neckar sowie die Ortsverbände angeschrieben, was sie über Sarrazin denken und wie man sich in Sachen Ausländerpolitik hier vor Ort engagiert. Das Ergebnis: Null. Wir haben keine einzige Antwort, weder telefonisch, noch schriftlich, noch persönlich erhalten. Daraufhin erschien unser Bericht: Nix sehen, nix hören, nix sagen – Die SPD vor Ort macht die drei Affen.

Seitdem reagieren viele SPD-ler „verschnupft“ auf uns. Später haben wir aus SPD-Kreisen erfahren, dass dieses Verhalten verabredet war. Die SPD-Spitzen einigten sich auf einen Boykott unserer redaktionellen Anfrage.

Ist es das, was Herr Kleinböck unter „sein Möglichstes tun“ versteht? Sieht so „Zivilcourage“ aus? Sich zum Schweigen zu verabreden? Oder sagt man lieber nichts, aus Sorge, ein Wähler mit rassistischen Ressentiments könnte verschreckt werden? Diese Frage kann man auch Herrn Wacker stellen, der als CDU-Mann in einer Partei ist, die ständig durch ausländerfeindliche Äußerungen auffällt und die in Baden-Württemberg eine stramme rechtskonservative Tradition hat und pflegt.

Bei der NPD-Demo am 01. Mai habe ich keinen der Herren gesehen, um die Mannheimer Gegendemonstranten zu unterstützten – und man kann sicher sein, dass politische Entscheidungsträger dafür sorgen, gesehen zu werden. Mannheim ist für jeden der NPD-Gegner innerhalb von 15 Minuten zu erreichen, aber nicht deren Wahlkreis und der 01. Mai war ein herrlicher Sonnentag.

Die Nazis sind unter uns

Rund 2.000 Menschen haben gegen die NPD demonstriert, die mit immerhin 300 Teilnehmern aufgetreten ist. Und der Protest hatte Erfolg – die Gegen-Demo führte zum vorzeitigen Ende der rechtsextremen Demo. Hauptredenschwinger war übrigens der NPD-Funktionär und Kreisvorsitzende Jan Jaeschke. Der agiert von Weinheim aus – der Heimatstadt des grünen Landtagsabgeordneten Uli Sckerl und der größten Kommune im Wahlkreis 39 von Kleinböck, Skerl und Wacker.

Zudem gibt es ein sehr aktives braunes „Aktionsbündnis Rhein-Neckar“, das im Dreiländereck wirkt, wie der Verfassungsschutz herausstellt.

Keine Frage, die Abgeordneten sind ganz sicher alle aufrechte Demokraten – die Frage ist, was sie tun, um den rechtsextremen Gedankendreck aufzuräumen? Sicher kann man dafür auch als einfacher Demo-Teilnehmer persönlich einstehen. Und ganz sicher kann man auch eine Meinung dazu haben und diese äußern, auch wenn es peinlich ist, wenn ein prominenter Parteigenosse mit seinen ausländerfeindlichen „Thesen“ 1,5 Millionen Bücher verkauft und damit zeigt, wie tief fremdenfeindliche Ressentiments in der Bevölkerung verwurzelt sind.

Rund 20 Prozent der Bevölkerung zählen dazu. Gar fast 60 Prozent wollen die Religionsausübung für Muslime beschränken. Nimmt man solche Zahlen zur Hand, die Popularität der Rechtsaußen-Politiker beim Volk und in den eigenen Parteireihen von SPD und CDU, dann kann man mehr als nachdenklich werden.

Verfassungsfeinde

Verfassungsfeindliche, rechtsextremistische Parteien wie die NPD sind aber mehr als fremdenfeindlich. Sie lehnen die freiheitlich demokratische Grundordnung ab. Sie wollen das System auch mit nicht-demokratischen Mitteln übernehmen.

Zur freiheitlich demokratischen Grundordnung gehören aber auch die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Sicher – es fällt schwer, dies auch dem braunen Gesocks zuzubilligen. Aber wir leben in einem Rechtsstaat, der alle verfassungsmäßigen Mittel parat hat, um sich gegen Verfassungsfeinde zu wehren.

Auch mit dem Verbot einer Partei, die verfassungswidrig agiert (Artikel 21 GG). Auf gar keinen Fall darf dabei aber der Eindruck entstehen, dass man politisch unliebsame Meinungen unterdrückt. Damit würde eine Saat gelegt, deren Auswüchse man sich nicht vorstellen will. Deswegen müssen die juristischen Mittel absolut einwandfrei geeignet sein, eine Partei wie die NPD zu verbieten.

Das ist eine Frage, die Juristen entscheiden. Ich persönlich bin Laie, aber nach meinen Recherchen ist die Faktenlage nicht so klar, wie Uli Sckerl sie darstellt. Sonst müsste man nicht bis Ende 2012 mit einer Entscheidung „ob Klage oder nicht“ warten.

Verbot muss „zweifellos“ sein

Hardy Prothmann ist Redaktionsleiter und bezweifelt einen positiven Effekt eines NPD-Verbots.

Sollte das Verbotsverfahren, sofern angestrengt, wieder scheitern, wäre das eine weitere Bestätigung der „unverbietbaren Partei“, wie die NPD sich nach dem Scheitern des Verbots 2003 genannt hat.

Und wenn ein Verbot erfolgreich wäre, werden sich die Parteikader als Opfer des herrschenden Systems darstellen und sich anders organisieren.

Ein Dilemma also, das man am besten löst, indem man nicht den Auswuchs ausreißt, sondern die Wurzeln bekämpft.

Dass die NPD als Partei rund fünf Millionen Steuergelder jährlich kassiert, also von dem Staat alimentiert wird, den sie abschaffen will, ist bitter und für jeden Demokraten unerträglich. Aber auch dies regelt unsere starke Verfassung und unsere Gesetzgebung.

Bei allem Verständnis für den Wunsch, die braune Partei zu verbieten, muss klar bleiben, dass unser Rechtssystem ein gerechtes ist. Jeden Zweifel daran wird die braune Bande ausnutzen.

Ob es im Zusammenhang mit der klaren Ablehnung der NPD sinnvoll ist, dass die Stadt Ladenburg zum Totengedenken des Bundes der Vertriebenen einlädt – auch darüber kann man diskutieren. Gründungsmitglieder des BdV waren unter anderem Nazi-Größen und bis heute gilt der Verein als rechtskonservativ bis reaktionär. Zudem wird dem BdV vorgeworfen, durch die Stilisierung der Opferrolle der deutschen Vertriebenen, das geschichtliche Erinnerung an das Terrorregime der Nazis und deren Gräueltaten zu verwässern.

Ladenburg: Landtagsabgeordnete diskutieren Verbots-Antrag

NPD-Verbot: Einhelliges Ja, aber…

Im Prinzip für ein NPD-Verbotsverfahren - Landtagsabgeordnete in Ladenburg.

Ladenburg/Rhein-Neckar, 11. Mai 2012. (red) So viel Einmütigkeit ist selten: Gerhard Kleinböck (SPD), Uli Sckerl (Bündnis90/Die Grünen) und Georg Wacker (CDU) wollen die NDP verbieten lassen, wenn es genug belastende juristisch wasserdichte Fakten gibt. Der Ladenburger Verein „Wir gegen rechts“ hatte die drei Abgeordneten sowie den früheren MdL Hagen Kluck (FDP) zur Diskussion mit dem Publikum eingeladen. Das Publikum ist unentschieden in der Verbotsfrage – ein türkischstämmiger Bürger wirft den etablierten ausländerfeindliche Parolen vor.

Von Hardy Prothmann

Es sind rund 70 Besucher in den Domhofsaal nach Ladenburg gekommen – darunter viele bekannte Gesichter, die auch die Informationsveranstaltung zu rechtsextremen Frauen vor einigen besucht haben. Der überwiegende Teil gehört der Generation der jungen Älteren an, ein Teil ist mittleren Alters, ganz wenige junge Leute sind am Dienstagabend zu sehen.

Bürgermeister Rainer Ziegler begrüßt die Gäste und stellt fest:

Wir müssen gerade in den Keimzellen des Staates klar machen, dass Rechtsradikale keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. Ich bin für ein Verbot dieser Partei, auch wenn mir klar ist, dass man damit die demokratiefeindlichen Gedanken nicht aus den Köpfen bekommt.

Der ehemalige Verwaltungsrichter Dr. Rudolf Lutz (FDP-Stadtrat) führt in die schwierige juristische Materie des Parteiverbots ein.

Obwohl vier Parteivertreter am Tisch sitzen, die sich sonst nicht besonders gut verstehen, ist man sich in der Frage einig. Die NPD soll verboten werden. Nur wie, das ist nicht ganz klar. Zur Einführung geben die Politiker ihre Einschätzungen ab. Georg Wacker sagt:

Die NPD ist inakzeptabel, sie ist antidemokratisch und rassistisch und gehört meiner Meinung nach verboten. Das ist meine Meinung. Die Bundes-CDU ist derselben Auffassung, aber die juristischen Hürden sind extrem hoch. Die schwache Demokratie der Weimarer Republik war nicht wehrfähig gegenüber den Nazis. Wenn ein Verbotsverfahren nicht durchkommt, werden die Rechten wie damals den Staat lächerlich machen, davor habe ich große Angst.

Weiter meint Herr Wacker, man solle sich nicht auf das Verbot konzentrieren, sondern anderen Feldern widmen, um dem Rechtsradikalismus zu begegnen.

Uli Sckerl sagt:

Ich bin klar für ein Verbot. Es gibt genug Erkenntnisse dafür, die Politikwissenschaft ist sich weitgehend einig. Es reicht nicht aus, eine extreme Haltung zu haben, sondern es braucht auch Aktivitäten, die den Staat beschädigen und abschaffen wollen. Die NPD hat sich für andere Gruppierungen wie Skinheads und Kameradschaften geöffnet – die Rolle dieser Partei hat sich stark verändert und es gibt genug gewaltbereites Potenzial, um ein Verbotsverfahren zu begründen. Wir wissen von mehr als einer personellen Verflechtung der rechtsterroristischen NSU.

Weiter sagt der Grünen-Politiker, dass die V-Leute abgeschaltet seien, um das Risiko eines Scheiterns des Verbots zu minimieren. 2003 scheiterte ein Verbotsverfahren daran, dass nicht klar war, ob V-Leute des Verfassungsschutzes oder Parteimitglieder für verfassungswidrige Inhalte verantwortlich waren. Nach Meinung von Herrn Sckerl „darf es kein zweites Scheitern geben“.

Hagen Kluck sagt:

Für die FDP gibt es keine Zweifel, dass die NDP eine rechtsextreme Partei ist. Doch reichen die Beweise? Das Bundesverfassungsgericht wird diese verlangen. Schnellschüsse sind nicht zu empfehlen. Es unterscheidet unseren Rechtsstaat von anderen, dass man nicht von oben herab jemanden verbietet. Dieser Staat ist gefestigt. Und alles hat auf dem Boden der Verfassung zu stehen.

Hagen Kluck hat die größten Bedenken am Tisch und betont mehrfach, dass die Verfassung und der Staat sich als wehrbar erwiesen haben.

Gerhard Kleinböck sagt:

Mit was müssen wir rechnen, wenn das Verbot scheitert? Ich würde sie auch gerne verbieten lassen, aber viel wichtiger ist es doch, dem Rechtsextremismus den Boden zu entziehen. Eine menschlichere Gesellschaft macht den Nährboden für diese Kreise dünner.

Das Publikum ist gefragt. Einige sind unumwunden für eine NDP-Verbotsklage, viele sehen aber die Gefahr, dass sich die Rechtsextremisten entweder im Untergrund radikalisieren oder zu anderen rechtsextremen Partein abwandern:

Wenn man sie verbietet, dann kommen sie unter anderem Namen wieder.

Auch türkischstämmiger Schriesheimer ist gegen ein Verbot – er fordert, dass die etablierten Parteien bei sich anfangen sollten und nicht mit ausländerfeindlichen Parolen auf Stimmenfang gehen. Als Beispiel nennt er den früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU). Herr Kleinböck und Herr Wacker, beides „Bildungspolitiker“, fordern, dass es mehr Bildung und Auflärung geben müsse. Eine Besucherin erweitert das Thema und erzählt von ihren eigenen Erfahrungen:

Ich hatte den Nazi Deckert als Lehrer. Der hat im Unterricht Handzettel verteilt, nach denen Schwarze dümmer sind als Weiße.

Joachim Loose, stadtbekannter ASV-ler, sagt:

Es ist doch mehr die Politik gefordert, den Menschen Chancen zu geben.

Dr. Peter Hilger, Stadtrat der Freien Wähler äußert sich verächtlich über die Parteien:

Dummheit lässt sich nicht abschalten oder verbieten. Wenn diese Parteien uns wieder eine Heimat geben könnten, dann wäre viel anderes. Ich kann mich mit keiner Partei identifizieren. Sie sollten sich mal refomieren, damit sie attraktiver für die Bevölkerung sind. Denn sonst treiben sie den extremen Parteien die Leute zu.

Aus dem Publikum werden Fragen ans Podium gestellt, beispielsweise zu den Strukturen und Finanzen der NDP. Der grüne Innenpolitiker Uli Sckerl zeigt sich als einziger faktensicher und schätzt, dass die NDP jährlich rund fünf Millionen Euro aus Steuergeldern erhält. Sein Ziel: Der rechtsextremen Partei durch ein Verbot die Mittel entziehen und damit die Strukturen zu schädigen:

Wir werden auch mit Bildung diese Leute nicht erreichen – die sind entschlossen, den Staat bis aufs Messer zu bekämpfen. Wenn der Rechtsstaat gefährdet wird, muss man ihn entschlossen verteidigen, auch über Verbote. Ich bin als Demokrat nicht mehr bereit, diesen Verfassungsfeinden die Logistik zu bezahlen. Wenn man die Strukturen zerschlägt, brauchen die Jahrzehnte, um sich wieder zu organisieren.

Rund 70 Besucher interessierte das Thema NPD-Verbot.

Er fordert am Klarsten das Verbot, weil er überzeugt ist, dass die Fakten reichen. Ende des Jahres werden die Innenminister zusammenkommen und über einen Verbotsantrag entscheiden. Die von Sckerl vorgetragenen Argumente der personellen Verflechtungen von verfassungsfeindlicher Partei und verfassungswidrigem Verhalten von Personen, beispielsweise politisch motivierte Gewalttaten wie die des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), sind faktisch gegeben. Ob sie ausreichend sind, muss geprüft werden. Und es bleibt die Frage der Verhältnismäßigkeit zu erörtern. Die NPD spielt auf Bundesebene keine Rolle – auch das könnte zu einer Ablehnung aus Verfahrensgründen führen.

Und Verbote sind nicht immer die beste Lösung: In den neuen Bundesländern erfuhr die NPD nach dem Verbot mehrerer „Kameradschaften“ viel Zulauf. Danach schaffte sie es in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern und in dutzende Gemeinderäte.

NPD stagniert - Kreisverband Rhein-Neckar sehr aktiv

NPD-Verbot: Verfassungsschutz sieht „Schulterschluss“ mit gewaltbereiten Neonazis

NPD-Demo in Mannheim am 01. Mai 2012.

 

Ladenburg/Rhein-Neckar, 11. Mai 2012. (red) Am 08. Mai diskutierten Landtagsabgeordnete und Bürger im Ladenburger Domhof über ein NPD-Verbot. Heute hat der Verfassungsschutz seinen Jahresbericht vorgelegt. Die NPD stagniert demnach, übt aber zunehmend Einfluss auf andere rechtsextreme Gruppen aus und hat 2011 eine Vielzahl von Demonstrationen organisiert.

Von Hardy Prothmann

Die Aufdeckung der Mordserie des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds im November 2011 habe zu einer veränderten Einschätzung des rechtsextremistischen und gewaltbereiten Lagers geführt. Eine derartige terroristische Vorgehensweise habe sich im Bereich der rechtsextremistischen politisch motivierten Kriminalität bis dato nicht gezeigt.

Mangelhafte Aufklärung

Der erste Satz des Verfassungsschutzberichts zeigt, dass die Aufklärungsarbeit der Verfassungsschützer mangelhaft war. Über Jahre konnte die Terrororganisation „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) ausländische Mitbürger umbringen.

Immerhin haben die Sicherheitsbehörden verstanden, dass dieser Terror eine andere Gewaltdimension hat, als die linksautonome Szene. In Baden-Württemberg zählte der Verfassungsschutz 2011 laut Innenminister Reinhold Gall rund 690 gewaltbereite Rechtsextreme, 20 mehr gegenüber dem Vorjahr.

Überwiegend seien es Skinheads (450), stark steigend ist aber die Zahl der „Autonomen Nationalisten“ (190), die äußerlich eher wie Linksautonome wirken, aber stramm neonazistisch sind und mittlerweile in der rechten Szene als „etabliert“ gelten. Insgesamt waren 2011 35 rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten registriert worden – ein leichter Rückgang gegenüber 39 im Jahr 2010. Die Gesamtzahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten sei jedoch von 917 auf 988 gestiegen. Zur Personengruppe der Rechtsextremisten zählt der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg rund 2.000 Personen.

Die Zahl der Demonstrationen von Rechtsextremisten hat deutlich zugenommen: von fünf im Jahr 2010 auf 13 im Jahr. Die NPD stagniert zwar bei den Mitgliedern (460), ist aber anscheinend aktiver und übe einen spürbaren Einfluss auf die rechte Szene aus. Bei der baden-württembergischen Landtagswahl am 27. März 2011 konnte die NPD aber lediglich 0,97 Prozent der Wählerstimmen gewinnen – trotzdem kassiert die Partei Steuergelder. Innenminister Gall:

Diese neonazistische Großdemonstration sowie die damit zusammenhängende Kampagne ist ein eindrückliches Beispiel für den Schulterschluss der NPD bzw. ihrer Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten (JN) mit der Neonaziszene.

Die Mitgliederzahl der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) sei in Baden-Württemberg von 110 im Jahr 2010 auf 90 im Jahr 2011 gesunken. Dennoch sei es der JN mit landesweit zwölf „Stützpunkten“ gelungen, eine relativ stabile Organisationsstruktur zu etablieren.

Machen neue Aktivitäten ein NPD-Verbotsverfahren möglich?

Diese Aktivitäten werden genau beobachtet, weil sie herangezogen werden müssen, um ein NPD-Verbotsverfahren zu begründen, über das die Innenminister im Dezember 2012 entscheiden wollen. 2003 ist der Versuch wegen Einflussnahmen durch V-Leute des Verfassungsschutzes gescheitert.

Die Zahl gewaltorientierter Linksextremisten in Baden-Württemberg sei im Jahresverlauf 2011 erstmals seit Jahren wieder von 590 auf 680 Personen angestiegen. Dies sei auf vermehrte Aktivitäten und Gruppenbildungen, vor allem in Freiburg und im Bodenseeraum zurückzuführen.

Linksextremistische Gewalt sei auch 2011 in erster Linie von den sogenannten Autonomen ausgegangen. Sie betrachteten die Anwendung von Gewalt als legitimes Mittel. Auch staatliches Handeln treffe zunehmend auf gewaltsamen Widerstand.

Ein deutlicher Anstieg um 14 auf 88 Fälle sei bei linksextremistischen Gewalttaten zu verzeichnen gewesen. Ursächlich hierfür sei vor allem eine Häufung schwerer Gewalttaten in Freiburg. Dort sei es zu mehreren Brandanschlägen auf Dienstfahrzeuge der Polizei gekommen. Wie aus mehreren Bekennerschreiben hervorging, waren diese Gewalttaten eine Reaktion auf „staatliche Repression“ gegen die Szene.

Im Vergleich wird deutlich, dass die rechtsextremistische Szene deutlich mehr Straftaten begeht – viele Beobachter kritsieren, dass die linke Szene im Verhältnis viel stärker beobachtet würde. Beispielsweise soll der Mord an der Heibronner Polizistin auf das Konto des „Nationionalsozialistischen Untergrunds “ (NSU) gehen.

In Heidelberg flog ein verdeckter Ermittler im linken Studentenmilieu auf, der eine harmlose Gruppe bespitzelte.

Den Staat kosten die Extremisten viel Geld. Auf jährlich 100 Millionen Euro beziffert der innenpolitische Sprecher der Landesregierung, Uli Sckerl, die Kosten auf für Sicherungsmaßnahmen. Allein der Einsatz von 1.900 Polizisten am 01. Mai anlässlich einer NPD-Demonstration mit 300 Teilnehmern soll rund eine Million Euro gekostet haben. Die Polizei sorgte dafür, dass die Ultrarechten nicht auf Linksautonome treffen konnten – eine Straßenschlacht konnte so verhindert werden.

Hinweis: Auf dem Rheinneckarblog finden Sie hier zur NPD-Demo in Mannheim umfangreiche Berichte.

Dokumentation: Der Verfassungschutzbericht 2011 lässt sich hier downloaden.

Vorratsdatenspeicherung ist rechtswidrig

Guten Tag!

Karlsruhe/Ladenburg, 02. März 2010. Das Bundesverfassungsgericht hat heute entschieden, dass die Vorratsdatenspeicherung gegen die Verfassung verstößt. Nach Auffassung der Richter ist sie mit dem Telekommunikationsgesetz unvereinbar.

Das höchste deutsche Gericht lies keinen Zweifel an der Beurteilung der so genannten Vorratsdatenspeicherung: Sie ist rechtswidrig. Seit 2008 werden Verbindungsdaten aus der Telefon-, Mail- und Internetnutzung sowie Handy-Standortdaten sechs Monate lang gespeichert – für Zwecke der Strafverfolgung sowie der Gefahrenabwehr.

Fast 35.000 Bürger hatten Beschwerde gegen das Gesetz eingelegt. Der Berliner Anwalt Meinhard Starostik vertrat rund 34.900 Kläger, der FDP-Politiker und Anwalt Burkhard Hirsch vertrat eine Klägergruppe, ebenso der Grünen-Politiker Volker Beck, der mit mehr als 40 Abgeordneten seiner Partei eine Beschwerde eingelegt hat.

Die Karlsruher Richter bemängelten, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt sei und eine fehlende Transparenz. Außerdem mangele es an der Datensicherheit. Darüber hinaus fehlten konkrete Angaben, wofür die Daten gebraucht werden.

Die Bundesverfassungsrichter stellten allerdings nicht die Zulässigkeit der EU-Richtlinie in Frage, die Grundlage für das Gesetz in Deutschland ist. Bei der Vorratsdatenspeicherung handele es sich aber „um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“.

Daher müsste ein derartiger Eingriff an strengste Bedingungen geknüpft werden. Diese Voraussetzungen erfülle das deutsche Gesetz nicht.

In der Begründung heißt es unter anderem: „(…) ist die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.“

Das Gericht hat angeordnet, dass die gesammelten Daten unverzüglich gelöscht werden müssen.

Link: Urteilsverkündung bei youtube (ZDF)
Dokumentation: Liste der Bundestagsabgeordneten und wie für die Vorratsdatenspeicherung abgestimmt wurde

Einen schönen Tag wünscht
Das ladenburgblog