Montag, 27. März 2023

Großeinsatz in Ladenburg

90-jährige Frau nach Rettung verstorben

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Was gibt es da zu glotzen?

 

Ladenburg/Heddesheim/Ilvesheim, 30. Juli 2013. (red) Die 90-jährige Heddesheimerin, die heute vormittag von der Feuerwehr in Ladenburg aus dem Neckar gerettet worden war, ist im Krankenhaus verstorben. Die Polizei geht von einer verzweifelten Lage aus, in der sich die Person befunden hat.

Von Hardy Prothmann

Selbsttötungen werden von der Polizei mit hoher Diskretion behandelt. Das ist auch richtig so. Man muss abwägen was mehr zählt – die Persönlichkeitsrechte, die über das Leben hinaus weiter bestehen oder das öffentliche Interesse. In den allermeisten Fällen ist ein öffentliches Interesse nicht begründbar, also wird von den Behörden auch nichts über solche Fälle berichtet. Dieser Abwägung müssen sich auch die Medien stellen. Unsere Haltung dazu ist eindeutig: Es gibt in den allermeisten Fällen kein begründetes öffentliches Interesse zu Menschen in verzweifelter Lage.

Eine Ausnahme besteht, wenn der Vorfall sich im öffentlichen Raum abspielt und dadurch per se bereits eine Öffentlichkeit vorhanden ist. Heute war das der Fall. Insofern berichten wir die wesentlichen Fakten.

Nach den bisherigen Informationen wurde ein Rollator in der Nähe der Fähranlegestelle in Ladenburg gefunden. Ebenso eine Handtasche mit Ausweispapieren einer 1923 geborenen Frau, die in Heddesheim als wohnhaft gemeldet war. Im Uferbereich des Neckars wurde ein Gehstock von der Polizei gefunden und sichergestellt. Auf der Höhe Carl-Benz-Museum retteten Mitglieder der Feuerwehr Ladenburg die Frau im Uferbereich aus dem Wasser. Danach konnte die Frau zunächst von einem Notarzt reanimiert werden und wurde im Anschluss in ein Krankenhaus transportiert, wo sie kurz darauf verstorben ist.

Den Einsatz der Feuerwehren Ladenburg und Ilvesheim, der DLRG, Polizei und Rettungskräften haben eine Vielzahl von Menschen verfolgt – darunter auch Jugendliche. Wir nehmen den aktuellen Vorfall zum Anlass, einen dringenden Appell an die Öffentlichkeit zu richten.

Gaffer vs. Zeuge

Das Beobachten eines Einsatzes oder Vorfalls ist nicht grundsätzlich zu verurteilen. Insbesondere dann nicht, wenn es um Straftaten geht, beispielsweise Menschen durch andere angegriffen werden. Dann ist es gut und wichtig, möglichst präzise Zeugenaussagen zu haben.

Sofern sich aber ein Unglück ereignet hat, gibt es keine Rechtfertigung. Wenn sich dann „Zuschauer“ einfinden, die einen Rettungseinsatz verfolgen, geht es nicht darum, „Zeuge“ zu sein, sondern nur um die Sensationsgier von Schaulustigen. Dann handelt es sich um bloßes, verantwortungsloses Gaffen. Niemandem ist damit geholfen, immer wieder werden Rettungskräfte sogar bei der Arbeit behindert.

Besonders verantwortungslos handeln alle die, die Kindern und Jugenlichen das mitgaffen erlauben. Insbesondere bei schweren Unfällen kann die Szenerie besonders grausig sein, wenn Menschen schwer verletzt oder tot sind. Besonders verantwortungslos ist die Gafferei aus vielen Gründen: Die meisten Menschen sind auf das, „was es zu sehen gibt“, nicht vorbereitet. Selbst professionelle Rettungskräfte oder Polizisten haben nach gewissen Einsätzen schwer mit dem zu kämpfen, was sie gesehen haben. Nicht selten benötigen diese Menschen nach einem Einsatz eine professionelle psychologische Betreuung, um das Erlebte verarbeiten zu können.

Gaffer handeln also zunächst einmal verantwortungslos gegenüber sich selbst. Was will man sehen? Heraushängende Gedärme? Fontänenhaft spritzendes Blut? Verteilte Gehirnmasse? Abgerissene Gliedmaßen? Eine aufgeblähte Wasserleiche?

Verantwortungsloses Handeln

Und sie handeln verantwortungslos gegenüber ihren Kindern. Wie sollen die mit schrecklichen Eindrücken zurechtkommen? Je nach Szenerie können solche „Augenblicke“ ein Leben traumatisieren.

Und sie handeln verantwortungslos gegenüber den Opfern. Wer das nicht verstehen will, stellt sich am besten selbst die Frage: Wollte ich, dass Gaffer mich in einer wie auch immer gearteten Notsituation sehen? Wollte ich, dass andere beobachten, wie ich verzweifelt um mein Leben kämpfe?

An dieser Stelle kommt häufig der Einwand, dass Medienvertreter doch genau dasselbe machen. Sie gehen in die Situation, beobachten diese und halten sie sogar per Film oder Foto fest. Was ist also der Unterschied?

Das ist eine berechtigte und gute Frage. Der Unterschied ist, dass professionelle Berichterstatter die für das öffentliche Interesse notwendigen Informationen sammeln und in angemessener Art und Weise berichten. Das bedeutet, nicht die Schaulust und die Sensationsgier zu „bedienen“, sondern die Informationen zu liefern, die nötig sind, um ein Geschehen einzuordnen. Die allermeisten Journalisten gehen nicht in solche Situationen, weil sie „Lust“ drauf haben, sondern weil es der Job ist. Und auch unter Journalisten gibt es immer wieder Traumatisierungen, häufig als posttraumatische Belastungsstörung. Als Chefredakteur trage ich zum Beispiel auch Verantwortung für meine Mitarbeiter und ich würde niemals jemanden in einen „harten“ Einsatz schicken, der damit möglicherweise nicht umgehen kann.

Sensationsgeile Medien

Leider gibt es immer wieder Medien, die nicht die notwendige Sorgfalt an den Tag legen oder sogar sehr bewusst Informationen veröffentlichen, die nur die sensationsgeile Schaulust von Gaffern befriedigen sollen. Als herausragend negatives Beispiel fällt uns vor Ort immer wieder das Rhein-Neckar-Fernsehen auf. Zuletzt „berichtete“ der Sender am 14. Juli beispielsweise mit Bild von einem Suizidversuch in Mannheim. Wir haben diese Darstellung umgehend als unangebracht kritisiert und einen Redakteur angeschrieben, um darauf hinzuweisen – das Foto ist bis heute auf der Website veröffentlicht. Die Verantwortungslosigkeit solcher „Berichte“ ist enorm, da es immer wieder „Nachahmer“ gibt, die nachgewiesenermaßen durch solche Berichte erst „auf die Idee kommen“.

Klar – auch Medien machen Fehler. Wer auf Fehler hingewiesen wird und diese nicht korrigiert, der macht keinen Fehler, der will das genau so darstellen. 2011 hat der Sender acht Minuten ungeschnittenes Videomaterial zu einem tödlichen Unfall ins Internet gestellt – dann aber aufgrund unserer Kritik reagiert und das Video gelöscht.

Jetzt könnte der Einwand kommen: In dem Moment, in dem ihr darüber berichtet, dass andere berichten, macht ihr das doch auch zum Thema. Das ist doch scheinheilig. Auch dieser Einwand ist vordergründig nachvollziehbar, vergisst aber das „Verursacherprinzip“. Wir haben nachrichtlich sowohl über den versuchten Suizid in Mannheim als jetzt aktuell über die verstorbene ältere Dame berichtet, weil beides im öffentlichen Raum stattgefunden hat – also eine Öffentlichkeit bereits hergestellt war. Es ist ein Dilemma, das es zu lösen gilt: Berichten wir, schaffen wir eine noch größere Öffentlichkeit, berichten wir nicht, fehlen der Öffentlichkeit mit großer Wahrscheinlichkeit wesentliche, zutreffende Informationen.

Ein Beispiel ist eine kurze Nachricht über die Selbsttötung eines Heddesheimer Arztes im Jahr 2011. Auch hier war durch die Bekanntheit des Mannes schnell eine „Öffentlichkeit“ hergestellt. Wir haben eine Vielzahl von Anrufen und emails bekommen und mindestens ein halbes Dutzend „Varianten“ über das Geschehen erhalten – bis hin zur „sicheren Information“, der Arzt sei wegen …. ermordet worden. Wir haben damals eine kurze Nachricht aus Respekt vor dem Toten und dessen Familie veröffentlicht, um die Gerüchteküche zu stoppen, die wildeste Formen annahm.

Im Fall der verstorbenen Frau wird die Polizei die Ursachen ermitteln. Sollte es sich um einen Unfall handeln, ist das von öffentlichem Interesse und die Behörde wird nachberichten, ebenso, wenn ein Verschulden Dritter vorliegen sollte. Wird eine Selbsttötung festgestellt, gibt es vermutlich keinen Anlass, weitere Details zu veröffentlichen.

 

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Ohne Sinn und Verstand – Erwachsene erlauben selbst Kindern zu gaffen.

 

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Ob die Gaffer nur eine Sekunde nachdenken, was wäre, wenn sie selbst in einer Notlage wären?

 

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Über Hardy Prothmann

Hardy Prothmann (50) ist seit 1991 freier Journalist und Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Er ist Gründungsmitglied von Netzwerk Recherche. Er schreibt am liebsten Porträts und Reportagen oder macht investigative Stücke.