Guten Tag!
Ladenburg, 28. Oktober 2010. Die Tageszeitungen stecken seit gut zehn Jahren in der Krise – jährlich verlieren sie an Auflage, Abonnenten und am schmerzhaftesten, an Werbung. „Treue Leser“ sterben weg, die Jugend darf getrost als „verloren für die Zeitung“ gelten. Und immer mehr Werbekunden fragen sich, warum sie teure Werbung in einer Zeitung schalten sollen? Die regionale Monopolzeitung Mannheimer Morgen startet jetzt eine Kampagne „Erkennen und gewinnen“. Wer mitmacht, kann „eine Digitalkamera und vier digitale Bilderrahmen“ gewinnen. Die ärmlichen Preise beschreiben die armselige Position einer ehemals geachteten Zeitung.
Von Hardy Prothmann
Der Mannheimer Morgen versucht ab der kommenden Woche so etwas wie eine „Innovation„. Tatsächlich handelt es sich um eine Bankrott-Erklärung, die viel mit dem zu tun hat, was ich tue.
Wer über die aktuelle Berichterstattung unserer Blogs hinausblickt, weiß, dass ich sehr aktiv die Entwicklung der Medien in Deutschland begleite. Das ist nicht weiter verwunderlich: Von 1994-2006 habe ich als freier Journalist sehr intensiv über Medien berichtet.
Als Redakteur der Fachzeitschrift CUT (1997-2004), einem Blatt für Radio- und Fernsehmacher und von 1994-2006 für die größte unabhängige Medienfachzeitschrift in Deutschland, das MediumMagazin. Darüber hinaus habe ich für verschiedene Medienressorts geschrieben, darunter „BR-Medienmagazin“, „Die Zeit“, „taz“, „Tagesspiegel“, „epd medien“, „Rheinischer Merkur“ und andere.
Medienkompetenz.
Ich habe „unzählige“ Porträts über Chefredakteure, Programmmacher, Intendanten, herausragende Journalisten geschrieben und über den Wandel des Berufs im Zuge der Digitalisierung. Über Lügen und Wahrheit, über Produktionsbedingungen, wirtschaftliche Zwänge, Einflüsse der Politik, über Pressefreiheit und vieles mehr.
Mit einem Wort: Ich kenne mich mit Medien einigermaßen aus. Mit Zeitungen, mit Magazinen, mit Fachzeitschriften, mit Radio, Fernsehen und dem Internet.
In den 90-er Jahren galten die Medien als attraktives Berufsfeld – groß waren die Karrierechancen, die Umsätze, die Hoffnungen. Mit dem Platzen der Börsenblase um die Jahrtausendwende und vor allem mit dem Internet und einer hoffnungslosen Arroganz der „etablierten“ Medien gegenüber dieser neuen Technik hat es zunächst einen bedeutenden Aufschwung gegeben und dann einen rabiaten Abschwung.
Seit 2001 verlieren vor allem die Tageszeitungen im Trend jährlich gut zwei bis drei Prozent an Lesern und rund vier Prozent an Umsatz – es gibt auch viele Beispiele, wo die Verluste noch dramatischer sind. Die Jugend darf insgesamt für die Zeitungen als vollständig verloren gelten.
Für mich als freier Journalist, der gut 70 Prozent seines Umsatzes mit Zeitungen machte, war und ist dies eine bedrohliche Situation. Auch wenn ich mich in der Nische „investigative Recherche“, „Porträt“ und „Reportage“ ganz gut behaupten konnte.
Seit Mai 2009 mache ich fast überwiegend nur noch Journalismus für das Internet – angefangen mit dem heddesheimblog, dann dem hirschbergblog (das gerade bundesweit beachtet wurde) und dem ladenburgblog. Im November kommt das weinheimblog als viertes Angebot eines so genannten „hyperlokalen“ Journalismus hinzu.
Das Konzept, das ich verfolge, ist einfach und kein Geheimnis: Die lokale Nachricht ist die weltweit vor Ort „exklusivste“ Information, die es gibt. Und darauf setze ich.
Lokaler Journalismus heißt, nah an den LeserInnen, an den Menschen dran zu sein. Den Menschen von Angesicht zu Angesicht zu begegnen, die man aktuell für was auch immer kritisiert oder gelobt hat. Und sich nicht von den positiven oder negativen oder keinen Reaktionen beeinflussen zu lassen, sondern ganz klar zu wissen, dass man das Zeitgeschehen verfolgt, recherchiert, einordnet und kommentiert.
Herausforderung.
Journalismus ist für mich nach wie vor der absolute Traumberuf – es gibt keinen anderen „Job“, der so vielfältig und so herausfordernd ist. Wenn man ihn denn ernst nimmt und sich der Vielfalt und den Herausforderungen stellt.
Leider sinken auch mit den Verlusten der Branche die Ansprüche. Die lokaljournalistische Realität ist vielerorten dramatisch. Belanglose, schlecht recherchierte, liebedienerische und im besten Fall belanglose Artikel sind das Ergebnis.
Ich habe dafür den mittlerweile branchenintern bekannten Begriff „Bratwurstjournalismus“ geprägt: „Der Wettergott war den Gästen gnädig, die Luft vom Duft leckerer Bratwürste erfüllt, der kühle Gerstensaft floss in Strömen“ – diese und andere blöde Formulierungen füllen jeden Tag die Lokalseiten. Sehr beliebt sind auch Floskeln wie „dankbar, lobte, stellte heraus, hob hervor“. Tipp: Überfliegen Sie ausnahmsweise nicht Ihre Tageszeitung, sondern lesen Sie genau – das Grausen wird Sie packen.
Kampagne.
Aktuell startet der Mannheimer Morgen eine Kampagne und verspricht „Mehr Seiten, mehr Bilder, mehr Lokales“.
Darüber freue ich mich – weil ich das als Anerkennung meiner Arbeit verstehe, der ich gegen viele politische, wirtschaftliche und auch gesellschaftliche Widerstände nachgehe.
Bei dieser Arbeit werde ich von einer (noch) überschaubaren Zahl von freien Mitarbeitern unterstützt, die mit viel Energie und Herzblut und Überzeugung an der Idee eines unabhängingen Journalismus mitwirken, wofür ich jedem danke (die Mitarbeiter wissen, wer gemeint ist).
Dazu kommen wirklich sehr viele BürgerInnen, die mit „ihrer“ Zeitung nicht mehr zufrieden sind und die die Arbeit unserer Redaktion ganz enorm unterstützen. Sie wollen keine geschönten, einseitigen Berichte mehr, sondern eine unabhängige, engagierte Berichterstattung, wie wir sie liefern.
Als großer Verlag führt der MM sein Selbstbewußtsein ins Feld: „Mehr“. Die Zeitung kündigt „mehr“ an und wir sind gespannt, was das sein soll. Noch mehr Bratwurstjournalismus? Noch mehr nichtssagende, langweilige, inhaltsleere Artikel?
Was ist mehr?
Dem sehen wir getrost entgegen – gleichzeitig erkennen wir an, dass die „große Tageszeitung“ offensichtlich nervös reagiert und versucht, ihre schwindende Bedeutung mit dem Lockangebot „einer digitalen Kamera und vier digitalen Bilderrahmen“ zu bewerben.
Da gab es schon bessere Angebote – und wenn das nur ein analoger Toaster oder eine analoge Kaffeemaschine war. Der MM ist derart blöd, dass er gar nicht merkt, wie absurd es ist, mit digitalen Gewinnen für die analoge Zeitung zu werben.
Ich finde das sehr bedauerlich, weil ich meine erste Zeit als junger Journalist von 1991-1994 genau bei dieser Zeitung verbracht habe. Ich hatte damals das Gefühl, dass Journalismus noch etwas wert war für diese Zeitung.
Miserable Zustände.
Bis heute schätze ich gewisse Kollegen und halte die Zeitung nicht insgesamt für schlecht. Eine überwiegend miserable journalistische Arbeit wird aber vor allem in den „Außenbezirken“ geleistet, da, wo ich aktiv bin. In Heddesheim, Hirschberg und Ladenburg.
Als redaktionell getarnte umgeschriebene Pressemitteilungen oder vollständig unkritische Berichte sind hier an der Tagesordnung. LeserInnen, die auf die Integrität „Ihrer“ Tageszeitung bauen, werden vorsätzlich getäuscht und betrogen.
Sie halten das für „harte Vorwürfe“? Das ist die alltägliche Realität.
Seit Mai 2009 prangere ich immer wieder diese miserable Qualität an – bislang musste ich nur ein Mal eine „einstweilige Verfügung“ aktzeptieren, durch die mir verboten wurde, Details über das „Drama der journalistischen Prostitution“ zu wiederholen (leider aufgrund von eingenen Versäumnissen – nobody is perfect…).
Immer wieder wurde gerätselt, warum der MM so gar nicht auf meine journalistische Arbeit reagieren wolle. Er hat reagiert, von Anfang an. Erst in der Schockstarre, dann mit anderen Reaktionen, die sehr, sehr unfein waren und nun mit einer Aktion „Mehr“.
Ich freue mich darauf und bin gespannt, wie die Zeitung „Mehr“ realisieren will. Die freien Mitarbeiter werden miserabel bezahlt, die Fotografen kämpfen um ihre Existenz, die Redakteure schreiben Pressemitteilungen als eigene redaktionelle Berichte um und viele „heiße“ Nachrichten werden erst gar nicht berichtet.
Ob es von all dem nun „Mehr“ gibt? Noch mehr Bratwurst? Noch mehr Belanglosigkeit? Noch mehr Liebedienerei und Hofberichterstattung? Noch mehr schlechte Bilder in schlechtem Druck?
Ab kommendem Dienstag, den 02. November 2010, soll es soweit sein.
Meine kleine Redaktion und ich lassen uns überraschen und sagen: „Konkurrenz belebt das Geschäft.“ 🙂
Unabhängig davon machen wir das weiter, was in der Branche als „Zukunft des Lokaljournalismus“ gilt.
Folge uns!