Ladenburg, 04. September 2013. (red/ld) Das kleinere Übel wählen, ist für Stephan Hebel am 22. September das Wichtigste. Bloß keine weitere Merkel-Regierung! Unter ihrer Führung habe sich das soziale Klima in der Bundesrepublik stark abgekühlt, vor allem seit sie mit der FDP regiert. Ihre Strategie verpacke sie, seiner Meinung nach, in eine Inszenierung als „Mutti“, die für alle wählbar ist: Eine „Mutter Blamage“. Gestern las der Autor und Journalist auf Einladung des DGB-Ortsverbands im Domhof.
Von Lydia Dartsch
Ziemlich verdrießlich schaut Angela Merkel vom Cover des Buches „Mutter Blamage“. Stephan Hebel, Journalist und Autor, hat es geschrieben und greift das System Merkel darin mit voller Wucht an. Er beschreibt eine perfide Inszenierung der derzeitigen Bundesregierung, die auf der einen Seite die ungleiche Vermögensverteilung in der Bundesrepublik verschärft, Sozialleistungen abbaut und sich gleichzeitig aber mit Frau Merkel zeigt – der Kanzlerin, die doch für alle wählbar ist.
Er kritisiert auch die Opposition: SPD und Grüne. Weil diese sich nicht trauen, das Tabu zu brechen und mit der Linken eine Koalition einzugehen, nur um Angela Merkels Regierung abzulösen – dabei gebe es zwischen den drei Parteien so viele Gemeinsamkeiten.

Wenn Stephan Hebel von Angela Merkel spricht, spricht er von „Betrug“, „Märchen“ und „Inszenierung“. Alternativlos sei diese Kanzlerin aber nicht.
Autor kritisiert Kollegen
Und Stephan Hebel kritisiert seine Kollegen, weil vor allem die Korresondenten aus Berlin die Distanz zur Politik verloren hätten. Statt kritisch Arbeitslosenzahlen und neue Sozialregelungen, wie die Lebensleistungsrente oder das Betreuungsgeld zu hinterfragen, bedienten sie sich der „Deutschland geht es gut“-Argumentation der Bundesregierung.
Insbesondere Giovanni di Lorenzo, den Chefredakteur der „Zeit“ nennt er als Beispiel. Er empört sich über Leitartikel, wie „Steinbrücks letzte Patrone“, der in der Ausgabe vom 29. August 2013 erschienen ist, in dem di Lorenzo schreibt:
Eine Alleinverdienende mit Familie und einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro hat sicherlich ein hohes Gehalt, weit über dem Durchschnitt aller Erwerbstätigen in Deutschland. Aber jeder, der in einer Großstadt wie München, Frankfurt oder Hamburg lebt oder sich mit den Lebenshaltungskosten dort auskennt, weiß auch: Reich ist sie deswegen noch lange nicht, große Sprünge sind da weder bei der Wohnung noch im Urlaub oder beim Hobby drin.
„Ich weiß nicht, welches Hobby so teuer sein soll“, sagt Stephan Hebel kopfschüttelnd. Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Deutschland liege weit unter den 100.000 Euro, von denen die Lorenzo schreibt: Nämlich bei rund 28.000 Euro. Viele Menschen müssten mit weit weniger Geld auskommen, können nicht von ihrem Vollzeitjob leben und stocken auf.
Das alles werde in der Öffentlichkeit kaschiert durch sinkende Arbeitslosenzahlen. Die Arbeit habe aber nicht zugenommen. Die Folge aus mehr Arbeitsplätzen und gleichem Arbeitsvolumen seien Lohnsenkungen. Der Niedriglohnsektor boome.
Neoliberalismus bis zur Machtgefährdung
In ihrer „Inszenierung“, wie er es nennt, gebe sich Angela Merkel als Kanzlerin, die sich für alle einsetzt. Erst wenn der öffentliche Druck ihre Macht gefährde, mache sie Zugeständnisse – in möglichst geringem Ausmaß – wie die Einführung eines Betreuungsgeldes oder die Lebensleistungsrente.
Dabei richte sich ihre Politik nach den Interessen der Unternehmen und verfolge eine neoliberale Ideologie mit Maßnahmen wie die Kopfprämie für Krankenversicherte. Diese nennt Hebel das „Ende des Solidarprinzips“.
„Merkels Märchen“
Stephan Hebel greift Angela Merkel mit scharfen Worten an: Er spricht von „Betrug“, „Märchen“ und der „Inszenierung“ einer Regierungschefin, die schleichend, unbemerkt, die Sozialsysteme aushöhle, sich gegen Flüchtlinge von außerhalb abschotte und ihre Macht in der EU festige, indem sie Mitgliedsstaaten wie Griechenland rigorose Sparmaßnahmen aufzwinge. Wenn man sich auf Hebels Darstellung einlässt, bekommt man tatsächlich Angst vor der nächsten Regierung Merkel.
Doch er ist sich sicher, dass Merkel gewint. Ihre Strategie gehe auf. Laut der Umfragewerte der Forschungsinstitute, würden zwischen 39 und 41 Prozent der Wähler am 22. September ihr Kreuz bei der CDU machen.
Tabu, mit der Linken zu regieren
Eine weitere CDU-Regierung wäre also „alternativlos“, sagt Stephan Hebel und zeigt Alternativen auf: Eine rot-grün-rote Regierung; vielleicht nicht unter einem Kanzler Steinbrück. Dafür müssten SPD und Grüne zuerst aber das Tabu brechen, mit der Linken zu koalieren. Genügend Gemeinsamkeiten in den Forderung seien vorhanden: Mindestlohn, Bürgerversicherung, die Vergemeinschaftung von Schulden der EU-Mitgliedsstaaten und die strengere Regulierung von Waffenexporten.
Eine solche Regierung würde zwar nicht alles gut machen – dieser Illusion gibt er sich nicht hin. Sie könnte aber wichtige Reformen durchsetzen.
„Nicht wählen ist Merkel wählen!“
Bei den gut 30 Zuhörern des Abends kommt Stephan Hebels Botschaft gut an. Sie applaudieren, beteiligen sich rege an der anschließenden Diskussion – stimmen ihm zu, fragen, woher der Konformismus in der Presse komme, empören sich über politische Geschehnisse im Bundestag. Viele kaufen das Buch am Stand.
Man merkt den Besuchern des Abends einen Verdruss und fehlendes Vertrauen in die Politik an. Dennoch – appeliert Stephan Hebel – sollte man zur Wahl gehen, für das kleinere Übel:
Wenn wir sagen: „Die machens alle gleich“, entscheiden wir uns, nicht zu wählen. Und dann wählen wir Merkel.
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